Hans Jörg Fehle
erzählt, weshalb der Tod aus der Gesellschaft verdrängt wird.
Hansjörg Fehle hatte mit 16 Jahren ein spezielles Erlebnis.
Michèle Bowley ist unheilbar krank und lässt sich in ihrer letzten Lebensphase filmisch begleiten. Der neue Film von Erich Langjahr und Silvia Haselbeck möchte Einblicke in den Prozess des Sterbens zeigen. Der Theologe Hansjörg Fehle erklärt, weshalb der Tod in der Gesellschaft kaum im Gespräch ist.
Wattwil Am kirchlichen Hochfest Allerseelen, also am 2. November, zeigt das Wattwiler Kino Passerelle um 19.30 Uhr, den Langjahr-Film: «Die Tabubrecherin». Erzählt wird die bewegende Geschichte von Michèle Bowley, die aufgrund einer Krebsdiagnose weiss, dass ihre Lebensuhr in absehbarer Zeit stehenbleiben wird. Dennoch verzweifelt sie nicht. Sie setzt sich intensiv, mit dem oft in der Gesellschaft verschwiegenen Prozess des Sterbens auseinander und spricht darüber. Bowley beschliesst, ihren letzten Lebenszyklus von Erich Langjahr und Silvia Haselbecks Filmteam begleiten zu lassen. Sie begegnet dem unabänderlichen Fakt der Endlichkeit mit Neugier. Die medizinischen Behandlungen sind oft nur schwer zu ertragen und sie schöpft auf ihre Art Kraft und Hoffnung. Ihrem Leitmotiv «Ich sammle Leben, nicht Jahre» bleibt sie bis zum Schluss treu.
Dem Wattwiler Theologen Hansjörg Fehle ist das gesellschaftliche Denken zu Sterben und Tod auf unterschiedlichste Arten begegnet. «Ich denke, dass es diesbezüglich auf die Altersgruppen ankommt. Es ist nicht so, dass sich nur ältere Semester mit der Thematik auseinandersetzen», sagt Fehle und fügt an, er habe sich als 16-Jähriger, nach einem Fussballnachmittag mit Kollegen, zu Hause auf das Sofa gelegt. Er wisse nicht genau was passiert sei, aber plötzlich sei ihm die Endlichkeit des Lebens bewusst geworden. Es habe ihn aber nicht erschreckt. Jugendliche würden in diesem Alter oft zum ersten Mal bewusst mit dem Tod, beispielsweise der Grosseltern, konfrontiert. Für ihn ist es verständlich, dass es Lebensphasen gibt, in denen das Interesse an der Endlichkeit nur marginal eine Rolle spielt. «Man steckt mitten im Erwerbsleben, hat eine Familie und vielleicht zahlreiche Hobbys und Beschäftigungen, die mehr Platz im Leben einnehmen. Der Umgang mit dem Tod wird aus der Gesellschaft verdrängt. Jemand der sich mit diesem befasst, ist nicht in Konsumlaune. Bekanntlich hat das letzte Hemd keine Taschen», sagt er. Was den 71-jährigen Theologen erstaunt, ist, dass sich in etwa gleichaltrige Personen teilweise nicht mit dem Sterben und dem Ableben auseinandersetzen möchten. «Bei verschiedensten Gelegenheiten wird erwartet, dass man eine letzte Verfügung dabei hat. Man möchte wissen, was die Person nach dem Ableben haben möchte, und sollte das frühzeitig regeln», ist er überzeugt.
Als Pfarrer versucht Fehle herauszuspüren, was die Personen die den Abschied gemeinsam vollziehen für Vorstellungen haben. «Ich bin jemand, der diesbezüglich zurückhaltend ist. Biblisch gesehen ist der Tod pragmatisch und der Mensch muss versuchen, das Leben zu bestehen. Man kann sagen, dass alles war wir selbst auf der Erde erreichen, verbunden mit Glück, Liebe, Trauer, Enttäuschung und Arbeit erfahren und erleben, ist vor allem unser Geschäft. Was danach geschieht, ist Gottes-Business», so der Theologe. Angesprochen auf Bowleys Leitmotiv: «Ich sammle Leben, nicht Jahre» entgegnet Fehle, dass er eher Intensitäten oder Lebensverdichtungen sammle. In der Bibel gebe es die Vorstellung des richtigen Zeitpunkts für eine Sache. «Wenn sich etwas ereignet in dem Moment und ich bin Teil davon, dann kann mich das begeistern und das ist wichtig. Das macht vielleicht das Leben aus.» Andererseits betont er aber auch, dass man sich fragen müsse wo das Leben nach dem Tod hingehe, oder auch woher es komme. «Wenn ein Neugeborenes den ersten eigenen Atemzug macht, weiss man nicht genau, wie das möglich ist. Aus religiöser Sicht könnte man sagen, es kommt von Gott. Ebenso sieht es beim letzten Ausatmen vor dem Tod aus. In der Bibel ist es gut beschrieben, als Jesus sagte: Er wusste woher er kam und wohin er ging.»
ale
Erich Langjahr, die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod ist bis heute weitgehend ein gesellschaftliches Tabu. Warum denken Sie, ist das so?
Wir sind im Alltag kaum konfrontiert mit dem Tod. Gestorben wird meistens im Spital oder in einem Alters- oder Pflegeheim. Es ist zunehmend weniger üblich, dass die Toten aufgebahrt und besucht werden. Oft finden Beisetzungen im engsten Familienrahmen statt.
Silvia Haselbeck, wie ist es zum Film «Die Tabubrecherin» gekommen?
Im Jahr 2009 kam unser Film «Geburt» ins Kino. Wir haben in diesem Film zwei schwangere Frauen mit ihren Hebammen begleitet. Es war damals schon als Idee in uns, dass wir gerne einen Film machen würden zum Thema Sterben, falls wir jemanden finden, der im letzten Lebensabschnitt, und bereit ist, uns an seinem Weg teilhaben zu lassen. Als wir Michèle Bowley kennen lernen durften, war uns schnell klar, dass dieses Filmprojekt mit ihr möglich ist.
Silvia Haselbeck, welche Erinnerungen haben Sie, an die erste Begegnung mit Michèle Bowley?
Wir haben Michèle Bowley kennengelernt, nachdem Sie die Diagnose Hirnmetastasen, nicht operabel, mit einer Lebenserwartung von drei bis sechs Monaten bekommen hatte. Es war ihr ein Bedürfnis, das, was sie erlebt, mitzuteilen und nach aussen zu tragen. Schlussendlich haben wir sie über zwei Jahre begleitet.
Erich Langjahr, wo haben Sie sich als Regieteam Grenzen gesetzt?
Der Film ist keine Biografie von Michèle. Wir haben uns mit ihr auf das Abenteuer Sterben eingelassen und sie durch verschiedene Stationen ihres letzten Lebensabschnittes begleitet. Wir hätten nie Bilder im Film verwendet, die Michèle nicht gewollt hätte.
Erich Langjahr, wenn Sie an Michèle Bowley denken, was kommt Ihnen als erstes in den Sinn?
Sie ist eine Mutmacherin. Ihre Zuversicht und ihren Mut auf Leben und Tod begleiten uns täglich.
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