Flurin Schmid
ist Präsident des neu gegündeten Vereins IG Vernünftige Thursanierung Wattwil.
Es ist Heiligabend, der Christbaum in der guten Stube ist festlich geschmückt. Zahlreiche Päckchen liegen bereit und die Kinder können die Bescherung kaum erwarten. Einer der das Weihnachtsfest als Kind ganz anders erlebt hat, ist der pensionierte Nesslauer Pfarrer Lothar Schullerus.
Nesslau Die Adventszeit ist auch für Lothar Schullerus eine spezielle. 2004 trat er sein Amt als Pfarrer in Nesslau an. Heute arbeitet der 67-Jährige als Springer in einem 30 Prozent Pensum für die Kirchgemeinde. Im Gegensatz zu früher leitet er an Weihnachten keinen Gottesdienst. «Ich werde mit meiner Frau am 24. Dezember meine Tochter und die Grosskinder in Zürich besuchen. Wir nehmen am Gottesdienst teil, der von einem ukrainischen Kinderchor musikalisch untermalt wird», erzählt er.
Am Weihnachtstag reist er nach dem Gottesdienst in Nesslau zu seinem Sohn nach Wiesbaden und wird dort einige Tage bleiben. Er freue sich sehr, mit der Familie die weihnachtlichen Tage zu verbringen, so Schullerus. In anderen Jahren war er an Heiligabend regelmässig in Stein. Der Theologe schwärmt von der abendlichen Feier. Die beleuchtete Kirche, die Glocken und die festlichen Häuser haben es ihm angetan. «Wenn es schneit und man die Treppe zur Kirche hinaufschreitet, ist es märchenhaft schön», freut sich der Theologe.
Lothar Schullerus ist im damals kommunistisch geprägten rumänischen Siebenbürgen aufgewachsen. Er ist deutscher Abstammung und in einer für viele Menschen schwierigen Zeit gross geworden. An das Christfest hat der pensionierte Pfarrer viele Erinnerungen. «Die Rumänen sind ein religiöses Volk. Bei ihnen hiess der Weihnachtsmann Väterchen Frost», erzählt er. Es sind vor allem alte Bräuche, die dort bis heute die Festtage im Advent prägen. So wird am 24. Dezember dasselbe Krippenspiel wie damals von Kindern aufgeführt. Das ganze Dorf kennt es auswendig. «Meine Kollegen können heute noch aus dem Stück zitieren. Jeder der mitspielen durfte war stolz», sagt er.
Die Kinder wurden anschliessend mit Schulmaterial, Nüssen und Äpfeln belohnt. Im Anschluss begaben sich alle nach Hause und um Mitternacht spielte der Posaunenchor in seinem Heimatdorf das Lied «Ein Kind ist uns geboren». Doch damit war die Christnacht noch lange nicht vorbei. An Heiligabend brannte auf jedem Grab eine Kerze. Der Friedhof war in einen Hang gebaut und so erstrahlte ein grosses Lichtermeer. «An Weihnachten verbinden sich Himmel und Erde. Symbolisch nimmt man die Toten mit in unser Weihnachtsfest», erzählt er.
Als Schullerus vor einigen Jahren sein Dorf besuchte, stellte er fest, dass dieser uralte Brauch kaum noch gepflegt wird. Kurzerhand entschloss er sich, die Kosten zu übernehmen.
Am 25. Dezember begann der Tag mit der Frühmesse. Jeder der gesundheitlich im Stande war, habe daran teilgenommen. Die Konfirmanden sangen das Lied «Dies ist der Tag den Gott gemacht». Die Mädchen und Buben wechselten sich bei den Strophen ab und der Männerchor intonierte den Refrain. Ich weiss nicht, wie es von der Schweiz nach Siebenbürgen kam.
Mein Urgrossvater hatte in Bern studiert» sagt Schullerus, der Pfarrer in der siebten Generation ist. Nach der Messe haben alle Kinder ihre Bekannten und Verwandten besucht, um ihnen ein frohes Christfest zu wünschen. Meistens habe es dafür einen kleinen Batzen gegeben.
Für den Theologen ist es heute in der Adventszeit ruhiger geworden. Dennoch sei der Monat Dezember für die Menschen die stressigste Phase im Jahr. Das habe nicht mit Weihnachten direkt zu tun, erklärt Schullerus. Er bezieht sich dabei auf uralte Ängste, ob man genügend Vorräte gesammelt hat, um die harten Wintermonate zu überstehen. «Das ist immer noch, wenn auch meist niederschwellig, in uns drin. Hinzukommt dass wir weniger natürliches Licht haben und ausgerechnet jetzt, steht das Christfest bevor», sagt er und fügt an: «Es ist wichtig, die Festtage mit der Familie zu geniessen.» Dennoch soll man auch die Schwächeren der Gesellschaft, besonders in diesen Tagen nicht vergessen.
Von Andreas Lehmann
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